„Tu Dir etwas Gutes.“ lautet ein wohlgemeinter Ratschlag, den wir besonders dann zu hören bekommen, wenn es uns nicht so gut geht, wenn wir uns körperlich nicht wohlfühlen, unsere Stimmung gedrückt ist oder uns das Leben gerade besonders fordert. Die eigenen Batterien aufladen, auf die persönlichen Ressourcen achten und die individuellen Grenzen nicht überschreiten, so könnte man die Eckpfeiler gelebter Selbstfürsorge definieren. Theoretisch wissen wir das alle, in der praktischen Umsetzung besteht aber wohl bei vielen von uns noch Verbesserungsbedarf. Mich eingeschlossen. Denn obwohl ich mir vorgenommen habe, mehr Rücksicht auf mein körperliches Wohlbefinden zu legen und meine Grenzen mehr zu achten, ertappte ich mich wieder dabei, wie ich meine eigenen Bedürfnisse beiseite wische, weil … Tja, irgendein Grund findet sich immer.
In der Psychologie wird Selbstfürsorge definiert als sich Zeit nehmen für Dinge, die dem Einzelnen dabei helfen, gut zu leben und die seelische sowie körperliche Gesundheit zu verbessern. Selbstfürsorge hilft, Stress leichter zu bewältigen und leistungsfähiger zu sein. Damit es mit der Selbstfürsorge auch klappt, gibt es am Büchermarkt und im Internet zahlreiche Tipps, Tricks und Ratschläge, wie man am besten für sich sorgt und sich selbst etwas Gutes tut.
Für mich stellt sich hier die Frage, inwieweit die diversen Empfehlungen und Anregungen wirklich hilfreich sind. Geht es bei SELBST-Fürsorge denn nicht schon dem Namen nach darum, SELBST zu wissen, was einem guttut und was man im Moment gerade braucht? Wer außer uns selbst kann wissen, was uns Kraft gibt, wie wir gesund bleiben, wo wir auftanken können oder was wir besser vermeiden sollten?
Es mag schon sein, dass es Dinge gibt, die objektiv betrachtet zur Erhaltung der eigenen Gesundheit und des persönlichen Wohlbefindens beitragen. Selbstfürsorge geht aber einen Schritt weiter, als sich etwas Gutes zu kochen, einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen oder sich eine Massage zu gönnen. Manchmal mag das genau das Richtige sein – manchmal aber auch nicht. Ich sehe Selbstfürsorge als einen kontinuierlichen Prozess, in dem wir in jedem Moment unseres Lebens darauf achten, was uns Energie gibt und was sie uns nimmt, was uns nährt und was uns auslaugt, welche Bedürfnisse wir haben und was uns wichtig ist.
Damit wir gut für uns sorgen können, brauchen wir guten Kontakt zu uns selbst. Was sind meine Bedürfnisse? Wie geht es mir gerade? Welche Beziehungen tun mir gut? Woraus schöpfe ich Kraft? Welche berufliche Tätigkeit entspricht mir wirklich? Wann fühle ich mich wohl? Ehrliche Antworten auf diese und ähnliche Fragen finden wir nur dann, wenn wir uns selbst gut kennen, wissen wer wir sind, was uns ausmacht und was uns wichtig ist. Im guten Kontakt mit uns selbst spüren wir sofort, wenn uns etwas nicht guttut oder unserem Wohlbefinden (langfristig) schadet.
Die Einladung, sich selbst besser wahrzunehmen und sich mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ist nicht neu. Schon Sokrates lehrte, wie wichtig die Sorge um sich selbst sei und erklärte die Selbstkenntnis der Seele zum zentralen Aspekt der Selbst(für)sorge. Eine wertschätzende Haltung gegenüber sich selbst, das eigene Befinden ernst nehmen, individuelle Bedürfnisse kennen, und sich dann aktiv um die Befriedigung eben dieser und damit um das eigene Wohlbefinden kümmern – das sind die Eckpfeiler körperlicher und seelischer Gesundheit.
Im Alltag sind wir nur leider allzu oft viel zu weit von uns selbst entfernt. Unsere Aufmerksamkeit geht mehr (oder vielleicht sogar ausschließlich) ins Außen: Was ist zu tun? Was muss als nächstes erledigt werden? Um wen müssen wir uns kümmern? Wer braucht gerade etwas von uns? Wir funktionieren, erfüllen unsere Aufgaben und Pflichten, ohne uns selbst zu spüren. Immer mehr verlieren wir den Kontakt zu unserem Körper, unseren Bedürfnissen und letztlich zu unserem wahren Wesen. Wir passen uns an die Anforderungen des alltäglichen Lebens und des Umfelds an, Zeit ist für alles, nur nicht für uns selbst.
Die Aufmerksamkeit richten wir erst dann wieder auf uns, wenn uns der Körper oder die Psyche keine andere Wahl mehr lassen. Die vielen kleineren Anzeichen vor dem großen Zusammenbruch ignorieren wir oder nehmen wir gar nicht erst wahr. Erschöpfung, Freudlosigkeit, Lethargie und das ein oder andere Wehwehchen werden zu treuen Begleitern und Teil des normalen Lebensgefühls. Erst wenn Körper oder Psyche so stark rebellieren, dass Schmerzen und Symptome es nicht mehr möglich machen, den normalen Alltag aufrechtzuerhalten, und unsere Aufmerksamkeit erzwingen, halten wir an.
Wer unter Schmerzen leidet, ständig unter Strom steht, sich erschöpft fühlt oder jede Kleinigkeit zur Überforderung führt, hat die eigenen Grenzen bereits viel zu oft und viel zu weit überschritten. Die vielen Energieräuber, seien es belastende Beziehungen, ungelöste Konflikte, eine berufliche Tätigkeit, die nicht zufriedenstellt oder ganz fehlt, oder Lebensthemen, für die wir noch keine Lösung gefunden haben, all das kostet nicht nur viel Energie, sondern ist auch gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass Selbstfürsorge auf unserer Prioritätenliste schon länger sehr weit unten steht.
Der erste Schritt zur Selbstfürsorge ist, zu erkennen, wie es uns wirklich geht. Damit wir uns selbst wahrnehmen und unsere Bedürfnisse, unsere Werte, unsere Wünsche und unser Grenzen erkennen und achten, müssen wir uns selbst wichtig nehmen. Wir müssen uns selbst also einen hohen Wert beimessen, und zwar höher, als den noch anstehenden Aufgaben und den Menschen um uns herum. Eine Einladung zum Egoismus also? Nein, ganz im Gegenteil. Wer gut auf sich selbst achtet und sich selbst wertschätzt, hat auch wesentlich mehr Ressourcen und Energie zur Verfügung, um andere zu unterstützen und um die täglichen Aufgaben zu bewältigen.
Wenn wir uns selbst gut kennen, wissen wir, was wir brauchen, was uns wichtig ist, worauf wir verzichten können und wie wir am besten für uns sorgen. Am Anfang der Selbstfürsorge steht also die Frage: Wer bin ich wirklich? Jede(r) von uns ist einzigartig. Diese Einzigartigkeit gilt es zu entdecken und zu leben – in allen Bereichen des Lebens. Wir müssen wissen, wer wir sind, um zu wissen, was wir wollen und brauchen. Dann können wir uns auch besser selbst wahrnehmen, weil wir in guten Kontakt mit uns selbst sind. Wieso scheint aber genau das oft die größte Herausforderung zu sein?
Die Gründe liegen in unserem Inneren. Auch wenn in einer Zeit, in der es immer höher, schneller, weiter gehen muss, Beruf und Privatleben viel von uns fordern, so entscheiden wir letztlich selbst, was und wem wir wieviel Aufmerksamkeit schenken. Je mehr unsere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit ins Außen geht, desto weiter entfernen wir uns von uns selbst. Wir stellen uns selbst hinten an. Damit haben wir oft schon sehr früh begonnen.
Viele von uns haben bereits in frühester Kindheit (unbewusst) gelernt, sich selbst nicht in den Mittelpunkt zu stellen, sich anzupassen, möglichst anspruchslos zu sein, nichts zu fordern, und stattdessen andere glücklich zu machen, und wenn schon nicht glücklich, dann zumindest keine zusätzlichen Probleme mit eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen zu. machen.
Vieles haben wir als Kinder gelernt, auf uns selbst gut zu achten, unsere eigenen Bedürfnisse wichtig zu nehmen und sie auch auszudrücken und das zu tun, worauf wir gerade Lust haben, war bei vielen von uns allerdings nicht dabei. Wir haben Glaubenssätze und Überzeugungen entwickelt, die unsere Aufmerksamkeit von uns weg ins Außen lenken. „Ich bin nicht gut genug.“, „Ich bin nicht wichtig.“ oder „Ich bin nichts wert.“ führen zu Überanpassung, hohen individuellen Leistungsansprüchen und sensibler Wahrnehmung von Forderungen, Bedürfnissen und Meinungen anderer.
Was denken die anderen, wenn …? Wie reagiert meine Chefin, wenn ich pünktlich das Büro verlasse? Ist mein Partner enttäuscht, wenn ich Zeit für mich alleine beanspruche? Was sagt die Freundin, wenn ich nicht zu ihrer Geburtstagsfeier komme? Bin ich nicht faul, wenn ich einen Tag lang nichts tue? Doch nicht nur im Außen lauert die Gefahr vor Bewertung. Oft sind wir es selbst, die besonders hart mit uns ins Gericht gehen und strenge Disziplin fordern. In uns gibt es laute Stimmen, die uns über unsere Grenzen treiben, die uns ein schlechtes Gewissen einreden, wenn wir uns um uns selbst kümmern, und deren oberstes Ziel es ist, Konflikte und Unmut im Außen zu vermeiden.
In unserem Inneren arbeiten also oft frühkindliche Prägungen und innere Überzeugungen gegen uns. Die gute Nachricht: Wir können das verändern. Der erste Schritt zur Veränderung, hin zu mehr Selbstfürsorge, liegt darin, anzuerkennen, dass wir wichtig sind. Du bist wichtig. Du bist Dir selbst wichtig. Anfangs mag dieser Satz vielleicht noch von schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen begleitet sein, je öfter wir uns aber uns selbst Aufmerksamkeit schenken, desto selbstverständlicher wird es für uns werden. Wir erkennen dann nicht nur die wohltuende Wirkung auf uns selbst, sondern sogar auf andere. Je besser wir für uns sorgen, desto entspannter sind wir auch im Umgang mit anderen und unseren Aufgaben. Wenn wir gut in unserer Kraft sind und auf unsere persönlichen Ressourcen achten, fällt es uns leichter zu geben und unsere Pflichten zu erfüllen. Dann steht uns für alles im Leben mehr Kraft und Energie zur Verfügung.
So kompliziert scheint das mit der Selbstfürsorge also gar nicht zu sein. Zumindest in der Theorie nicht. Probiere es am besten gleich aus. Nimm Dir einen dieser Punkte vor und setze ihn um, und dann den nächsten, und den nächsten. Je öfter und länger Du das machst, umso normaler wird es für Dich werden, in jedem Moment Deines Alltags gut auf Dich zu achten und Dir immer öfter etwas Gutes zu tun. Spüre hin – was brauchst Du jetzt im Moment?
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Erstellt am 23. Jänner 2023